Interview mit Holger Küster

ACV Geschäftsführer Holger Küster erklärt im Interview, wie der ACV an verschiedensten Stellen seinen Beitrag zum Klimaschutz leistet, wie er das Leistungsportfolio rund um die Mobilität ausbauen wird und warum das Thema Nachhaltigkeit für den ACV in den nächsten Jahren prägend sein wird.

Portrait ACV Geschäftsführer Holger Küster

Herr Küster, warum macht sich ein Automobilclub für den Klimaschutz stark? Ist das nicht ein Widerspruch in sich?

Darin sehe ich keinen Widerspruch, sondern sogar einen Auftrag ganz besonders für uns. In den letzten Jahren wurde deutlich, dass die Mobilitätsbranche ein Treiber bei den schädlichen Emissionen ist, und wir sind Teil dieser Branche. Wir schicken jeden Tag Pannenfahrzeuge raus, um die Mobilität unserer Mitglieder, vornehmlich mit dem Auto, zu erhalten. Das ist unser Job.

Aber wir möchten gleichzeitig einen Teil dazu beitragen, dass die Mobilität umweltverträglicher wird. Wir spüren eine starke Verantwortung, als Menschen, die hier arbeiten, aber auch als Club insgesamt, etwas zur Verbesserung der Lage beizutragen. Ich sehe uns sogar in der Pflicht, Zeichen zu setzen und aufzuzeigen, dass es Wege gibt, Mobilität klimaverträglich zu gestalten. Neben der Verantwortung, die wir selbst übernehmen wollen, können wir auch Einfluss nehmen in der Verkehrspolitik – in Deutschland und auf europäischer Ebene, als Gründungsmitglied des EAC, des European Automobile Clubs.

Stichwort Zeichen setzen: Wo können Sie die größten Hebel ansetzen? 

Erstmal müssen wir uns anschauen, was wir selbst tun können. Der Abschleppvorgang ist eine unserer Kerndienstleistungen. Da gibt’s zum jetzigen Stand keine Möglichkeit, diese mit Elektrofahrzeugen oder wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen zu bewerkstelligen. Da machen wir uns Gedanken, informieren und tauschen uns aus, halten Ausschau nach Forschungsprojekten, um in Zukunft den Abschleppvorgang klimaneutraler gestalten zu können. Ich will aber nicht die Hände in den Schoß legen und nichts tun, nur weil es die Technologie bisher nicht hergibt. Eine Möglichkeit, heute schon etwas zu tun, ist die Möglichkeit der Kompensation der Emissionen. Dafür haben wir uns bereits 2019 entschieden, als erster und bisher einziger Automobilclub.

Was verbirgt sich hinter der Kompensation von Emissionen? 

Hierfür haben wir uns einen starken Partner an die Seite geholt, die Fokus Zukunft GmbH. Gemeinsam mit Fokus Zukunft haben wir unser gesamtes Unternehmen durchleuchtet und unseren CO2-Fußabdruck erfassen lassen und gleichen das, was wir nicht reduzieren können, mit Klimaschutz-Zertifikaten aus. 

Was zeichnet diese Zertifikate aus?

Wir unterstützen mit unseren Zertifikaten weltweit Klimaschutzprojekte aller Couleur. Diese Projekte befinden sich in der Regel in noch zu entwickelnden Ländern, aus dem einfachen Grund, dass CO2 Emissionen keine Grenzen kennen. Klimaschutz ist ein globales Thema. Ein großer Anteil unserer Zertifikate liegt im Bereich regenerative Energien wie Wasserkraft und Solarenergie. Ein anderer Teil unserer Zertifikate fördert die Waldaufforstung, denn der Wald kann CO2 aufnehmen – und er ist gleichzeitig ein wichtiger und schützenswerter Lebensraum. Da die Projekte, die wir unterstützen, immer auch gleichzeitig auf mehrere Nachhaltigkeitsziele der UN einzahlen, etwa sauberes Wasser für die Bevölkerung oder Förderung von Bildung, tragen wir damit sogar an anderer Stelle zu wertvollen Verbesserungen bei. Diese CO2 Zertifikate haben einen hohen Standard und wir haben sie mit Bedacht ausgewählt. Weil wir in den Zertifikaten im Übrigen einen guten Hebel sehen, haben wir zum von der Fokus Zukunft ermittelten CO2 Bedarf noch einen Aufschlag draufgegeben. 

Zertifikate gleichen die entstehenden Emissionen aus. Stoßen Sie auch Maßnahmen hier vor Ort an, um Emissionen zu reduzieren?

Wir haben unser Handeln gründlich durchleuchtet und sind all das angegangen, was wir direkt angehen konnten. So haben wir die Stromversorgung auf Ökostrom umgestellt. Unsere Dienstwagen ersetzen wir nach und nach mit alternativen Antrieben und schaffen hier in der Hauptgeschäftsstelle Schnelladesäulen an. Den Mitarbeitern haben wir die Teilnahme an Mobilitätstestwochen ermöglicht, wer wollte, konnte probeweise auf ein E-Auto, Fahrrad, Pedelec oder den ÖPNV umsteigen und prüfen, ob die persönliche Pendlerstrecke mit umweltfreundlichen Alternativen bewerkstelligt werden kann. Indem wir solche Angebote schaffen, nehmen wir auch unsere Mitarbeiter mit und inspirieren sie, Mobilität alternativ zu denken. Selbstverständlich bieten wir auch das Jobticket an. Aber auch kleinere Maßnahmen setzen wir um, deren Wirkung nicht auf den ersten, aber auf den zweiten Blick nachhaltig ist. Zum Beispiel haben wir im letzten Jahr in den Büroräumen Wasserspender angeschafft. Unser Trinkwasser kommt jetzt gefiltert und kostenlos für alle direkt aus dem Hahn, und wir müssen hier keine Logistik mehr in Anspruch nehmen.  

Solche Maßnahmen klingen erstmal trivial, aber im Gesamtpaket sind sie wichtige Schritte in die richtige Richtung. So konnten wir eine Senkung der Treibhausgas-Emissionen von 25 % pro Kopf erreichen, darauf bin ich wirklich stolz. 

Wie werden Sie das Thema in der Zukunft weiter angehen?

Dieses Thema lässt uns nicht mehr los. Für uns ist es jetzt glasklar, dass wir in der Zukunft nicht nur klimafreundlich, sondern nachhaltig handeln wollen. Unter diesem Aspekt gibt es noch jede Menge für uns zu tun. Wir beleuchten von fortan regelmäßig unsere Prozesse, gehen tiefer und schauen, wo können wir nachjustieren und unseren Footprint verbessern. Zum Beispiel werden wir unsere Serviceleistungen genau unter die Lupe nehmen und Fragen stellen, zum Beispiel: Müssen wir den Papierverbrauch so hochhalten? Korrespondenz per Post zu versenden, das ist seit Jahren im Versicherungswesen üblich. Da wollen wir offen rangehen und schauen, wie wir diesen Prozess verbessern können. Dasselbe gilt auch für unsere Veranstaltungen, bei der Auswahl unserer Kooperationspartner oder unserer Geldanlagen. Das wird unser Weg sein, intern laufen bei uns schon in den Abteilungen die Köpfe heiß. Meine Mitarbeiter leisten da hervorragende Arbeit. Wenn wir uns darauf fokussieren und in jede unserer Entscheidungen Umweltschutz und Nachhaltigkeit einfließen lassen, sind wir nicht nur der erste Automobilclub, der so weit geht, sondern auch in der Dienstleistungsbranche sehr weit vorne.

Vor diesem Hintergrund des Wandels: Was können Ihre Mitglieder vom ACV als Dienstleister erwarten?

Auch die Mobilität unserer Mitglieder entwickelt sich weiter, daher wandeln sich auch die Produkte, die wir anbieten. Der ACV wird im Kern weiterhin die Mobilität mit dem Auto absichern, aber die Antriebe werden vielseitiger, und auch alternative Verkehrsmittel wollen wir künftig mit absichern. Diesen Weg gehen wir schon länger, etwa haben wir schon 2016 den Fahrradschutzbrief kostenlos für alle Mitglieder in unsere Leistungen mit aufgenommen. Wir wollen und werden Mobilität ganzheitlich betrachten. Und das meine ich nicht als hohle Phrase, sondern wir schauen uns mit Nachdruck und neugierig an, wie wir unseren Mitgliedern noch besser auf all ihren Wegen zur Seite stehen. Was wir alles konkret umsetzen werden, das kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen, da müssen wir selbst für uns erst verstehen, wie wir unseren Mitgliedern am besten helfen können.

Welche Reaktionen gab es bei Ihnen im Präsidium und bei den Mitarbeitern auf den Wandel in Richtung Nachhaltigkeit?

So einen Wandel müssen wir selbstverständlich intern abstimmen und alle mitnehmen. Aber jeder von uns ist auch Vater oder Mutter, ist Opa oder Tante, und jeder von uns möchte die Welt in einem guten Zustand an die nachfolgenden Generationen übergeben. Wir wollen enkeltauglich handeln. Nachhaltigkeit ist auf einer breiten Basis akzeptabel. Schwieriger wird es bei der operativen Umsetzung, weil wir an Themen ranmüssen, die sich jahrelang etabliert haben. Ja, unser Geschäft ist die Mobilität, mit dem Auto im Zentrum. Natürlich bringt Veränderung auch immer eine Skepsis mit sich, und Veränderung ist immer auch mit Angst verhaftet. Aber wenn wir Verantwortung übernehmen wollen, für diese und künftige Generationen, und für diesen Planeten Erde, dann muss jetzt der Schalter umgelegt werden. 

Und wie nehmen Sie Ihre Mitglieder mit?

Natürlich möchten wir die Botschaft Nachhaltigkeit auch zu unseren Mitgliedern transportieren. Das werden wir auf eine offene Weise tun, ohne Lobbyismus, und immer mit dem Fokus: Wie kann man Nachhaltigkeit und Mobilität verbinden. Dies werden wir in all unseren Medien und Kanälen so umsetzen, etwa in unserer Mitgliederzeitschrift ACV Profil, in unseren digitalen Kanälen, auf Social Media wird das Thema immer mehr einen Schwerpunkt abbilden. Auf der Produktseite werden wir unseren Mitgliedern weiterhin wie mit dem Fahrradschutzbrief neue Leistungen anbieten, die eine nachhaltige Mobilität fördern. So wollen wir unsere Mitglieder mitnehmen und dabei unterstützen, nachhaltiger von A nach B zu kommen.

Gibt es einen Aspekt, der Ihnen bezüglich Nachhaltigkeit besonders wichtig ist?

Ja, es liegt mir sehr am Herzen, dass wir Nachhaltigkeit offen und sachlich diskutieren. Dass wir uns dabei nicht in eine ideologische Diskussion verrennen, sondern die Vorteile der einzelnen Verkehrsmittel wie Bus, Bahn und Auto neutral betrachten. Oder dass wir Technologien wie Wasserstoff oder E-Fuels nicht einfach wegwischen. Wenn wir Lösungen suchen, müssen wir offen in die Welt blicken.

Und ein zweiter Aspekt ist mir wichtig: Mobilität hat auch eine Historie. Das Durchschnittsalter der PKW in Deutschland ist 9,8 Jahre, da sind Millionen von alten Fahrzeugen auf der Straße. Das wird auch noch eine Weile so sein. Und das muss nichts Schlechtes sein. Ein Auto, was seit 10 Jahren in Gebrauch ist und vielleicht 6 Liter Benzin verbraucht, ist in seiner Wertschöpfungskette mit Sicherheit auch nachhaltig, im Gegensatz zu einem Neufahrzeug, was mit hohem Aufwand von Ressourcen erst produziert werden muss. Ich finde es wichtig zu bedenken, dass es in der Nachhaltigkeitsdiskussion auch um den Produktlebenszyklus im Allgemeinen geht. Es geht auch um Recycling, um den Umgang mit Ressourcen.

Mit dieser offenen Mentalität möchte ich an dieses Thema rangehen, Mobilität und Nachhaltigkeit differenziert betrachten und dann klug handeln.